Ruf des Meeres

*

Wie oft kam ich zu diesem Steg,

faszinierend blaues Locken -

unendlich weit ist dieser Weg,

sei er nun naß oder trocken.

*

Einsamkeit zieht in die Länge,

all´die vielen kleinen Schritte -

unsichtbare, starke Stränge,

zieh´n mich bis zur Stegesmitte.

*

Bis jetzt hab´ich widerstanden,

den Sirenen nach zu folgen -

doch ich lieg´in ihren Banden,

wenn sich spiegeln deine Wolken.

*

Trügerische Oberfläche,

und die unbekannten Tiefen -

wenn dein Mißbrauch sich nun räche,

während wir hier oben schliefen?

*

Verschmutztes Lebenselixier,

immer noch gibst du uns Nahrung -

Bedürfnis schlägt hart um zur Gier,

niemand hört die leise Warnung.

*

Ohne dich gibt es kein Leben,

auf dieser großen weiten Welt -

meines würde ich dir geben,

wenn auch das kleinste Opfer zählt.

*

Dein Anblick ist so wandelbar,

wie ein bunter Regenbogen -

erst düstertrüb dann sonnenklar,

vieles hast du aufgesogen.

*

Fern hör´ich die Wale singen,

unter mir ein zartes Gluckern -

seh´wie die Delphine springen,

und erspüre dumpfes Tuckern.

*

Vor mir liegst du jetzt gebändigt,

still und ruhig ist der Wellengang -

so viel hast du ausgehändigt,

genau so groß war auch dein Fang.

*

Bittersalzig deine Tropfen,

das Leben kam von dir doch her -

den Tod höre ich stets klopfen,

für mich und dich, endloses Meer!

*

(Elisabeth Rosing)